Der Genießer als Jäger und Sammler

Whisky als Sammelobjekt

Vor etwa 40 Jahren erhielt ich meine erste, besondere Whiskyflasche. Es war eine Flasche Teachers Highland Cream in der ungewöhnlichen Größe einer halben Gallone. Nach dem doch recht zügigen Genuss des Inhalts mit Freunden, was mit Kopfschmerz und Übelkeit einher ging, konnte ich diese Flasche nicht wegwerfen. Zuerst stand sie als Dekostück in der Bar. Als die Whiskys in der Bar hochwertiger wurden, musste sie schließlich weichen. Doch auch dann hatte sie noch ein drittes Leben als Kerzenständer. Später war sie dann weg. Vermutlich habe ich sie während meiner zahlreichen Umzüge irgendwann entsorgt.

Whiskyflaschen und ihr Inhalt waren schon immer und sind es heute ganz besonders, Sammelobjekte. In den USA wurde ich vor mehr als einem Jahrzehnt ungewollt Zeuge eines interessanten Gesprächs im Shop einer Brennerei. Dabei fragte der Verkäufer den Kunden, ob er die Flasche ausleeren und ihm die leere Glasflasche nach Hause schicken solle? Ich war völlig perplex. Das war für mich gleichbedeutend mit einem Briefmarkensammler, der seine gerade gekaufte, postfrische Marke beim Postamt sofort entwerten lassen würde. Wo bleibt denn da der Genuss?

Die Auflösung dieses Rätsels war dann seinerseits doch logisch. In den USA ist das Versenden von alkoholischen Getränken (mit wenigen Ausnahmen) gesetzlich verboten. Als Überrest der Prohibition wurde diese Regel bis heute beibehalten. Ob hier Distributoren und lokale Hände geschützt werden sollen oder ob sich noch ein realer Grund dahinter verbirgt? Wer kann so etwas mit Sicherheit schon sagen? Aus diesem Grund spezialisierte sich bis vor wenigen Jahren die US-Whiskey-Branche auf besonders aussehende Karaffen, in denen sich immer der gleiche Whiskey befand. Sammler kauften und verkauften ihre leeren Flaschen über das Internet und konnten sich im lokalen Spirituosenladen den passenden Inhalt – falls überhaupt gewünscht – dazu kaufen.

In Europa sieht und sah die Sache schon immer anders aus. Hier wird Whisky durch Sammler nur in seltenen Fällen wegen der Glasflasche bzw. -karaffe erworben. Tonkrüge und Keramikdecanter machen seltene Ausnahmen. Deshalb füllten bis etwa zur Jahrtausendwende die meisten Scotch Hersteller ihre Whiskys in Standardflaschen, den sogenannten Standard Liquor Bottles, ab. Den Unterschied machte vor allem der Inhalt aber auch das Etikett, der Verschluss und nach dem zweiten Weltkrieg immer öfter eine designte Umverpackung aus.

Mit der weitreichenden Verfügbarkeit dieser unterschiedlichen Whiskys und dem Aufkommen, des die Menschen über größere Distanzen verbindenden Internets, entstand eine ausgeprägte Whiskysammler-Szene. Bestes Anzeichen für das Sammelinteresse sind 3.000 geführte Whiskysammlungen mit 10 und mehr Flaschen, die virtuell in der Whisky-Database auf Whisky.de zu sehen sind.

Es gibt prinzipiell drei verschiedene Whiskysammlertypen. Den ersten möchte ich als Hardcore-Whiskysammler bezeichnen. Er sammelt ein sich selbst ausgewähltes Fachgebiet. Z.B. eine Flasche jeder Brennerei, alle Flaschen einer Brennerei, alle Flaschen eines Jahrgangs, usw. Es gibt beinahe so viele Sammelstrategien wie Sammler. Das Besondere des Hardcore-Sammlers ist die starke Verbindung zu seinen Flaschen. Er würde niemals eine Flasche wieder verkaufen oder gar öffnen. Mir sind sogar Hardcore-Sammler bekannt, die haben noch nie einen Schluck Whisky genossen.

Den zweiten Archetyp möchte ich als Genuss-Sammler bezeichnen. Er genießt überaus gerne Whisky und kauft deshalb ständig mehr Flaschen ein, als er in der gleichen Zeit leeren kann. Ein Genuss-Sammler zeichnet sich durch eine Bar mit besonders vielen, geöffneten Flaschen aus. Gleichzeitig drängen sich zusätzlich eine große Anzahl an noch geschlossenen Flaschen auf den Regalen, die alle noch probiert werden wollen. Während der Hardcore-Sammler geradeaus seine Sammlung mehrt, lebt der Genuss-Sammler im ständigen Konflikt, welche der vielen Flaschen denn als nächstes verkostet werden darf/soll/muss.

Der dritte Sammler ist der Wert-Sammler, der im starken Konflikt zum Genuss-Sammler steht. Der Wertsammler kauft und verkauft Whiskyflaschen mit der einzigen Absicht, über die Haltezeit der Flaschen einen Wertzuwachs im Markt zu erzielen. Typischerweise genießt er auch Whiskys und mehrt damit auch sein Wissen um den Inhalt der Flaschen. Aber genauso wie die Tauben bei Aschenputtel „… die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen!“ genießt der Wert-Sammler in der Regel die 'schlechten' Whiskys, also die Whiskys, die nicht im Wert ansteigen.

Zwischen diesen drei Sammlertypen ergibt sich ein interessantes Spannungsfeld, das in Foren und Chats regelmäßig zu wüsten Diskussionen führt. So werfen Genuss- und Wert-Sammler dem Hardcore-Sammler regelmäßig vor, dass er durch seine Sammelwut den Markt künstlich verknappt und damit die Preise antreibt. Für den Genuss-Sammler bedeutet das, dass er sich die entsprechende Flasche wegen des unmittelbar hohen Preises nicht leisten kann. Das Geschmackserlebnis einer Sonderflasche bleibt damit den Meisten – auch ihm persönlich – verborgen. Der Wert-Sammler ist da ein Stück weit besser dran, weil er die Flasche mit seinem Kapitalstock durchaus erwerben kann. Aber auch er ärgert sich, dass der Preis gleich zum Einstand sehr hoch ausfällt. Denn mit einem hohen Einstandspreis sinkt die Chance auf außergewöhnlichen Wertzuwachs in den kommenden Jahren.

Ein kurzes Beispiel hierzu. Von 50 EUR auf 300 EUR verdient man 250 Euro bzw. das 5-fache des Kaufpreises. Doch wenn die Flasche bereits 100 EUR kostet, so kann man nur noch 200 Euro verdienen. Das sieht nun nicht so schlecht aus. Doch es ist nur noch das 2-fache. Dies ist ein massiver Nachteil für den Wertsammler, der sein Geld nur noch in höheren Einzelbeträgen in weniger Einzelflaschen anlegen kann.

Doch auch andere Sammlerkonstellationen sind gemeinsam auf den Dritten sauer. Genuss- und Hardcore-Sammler ärgern sich gemeinsam über den Wert-Sammler. Seine alleinige Existenz und damit die Verknappung der Flaschen führt zu einer Preissteigerung beim sowieso bereits knappen Angebot.

Diese gemeinsame Einstellung gegen den Wert-Sammler ändert sich abrupt beim Hardcore-Sammler, wenn er selbst so eine Flasche in seine Sammlung bekommt. Jetzt auf einmal wird diese Flasche durch die Verknappung der Wert-Sammler seltener und damit zu einem raren Stück in der eigenen Sammlung. Der preisliche Wert ist dem Hardcore-Sammler oftmals nicht so wichtig. Viel bedeutender ist für ihn der gestiegene, ideelle Wert seiner eigenen Flasche. Zudem kann der Wert-Sammler am Ende zum Helfer in der Not werden. Wenn nun alle Kontakte zu den Händlern keine Möglichkeit ergeben, eine besondere Flasche zu ergattern, so können gegen ein Premium-Aufgeld die meisten Flaschen bei einem der Wertsammler erworben werden. Darauf warten die Wert-Sammler ja. Das ist der Zweck ihrer Existenz.

Mit der Globalisierung haben sich auch die Absatzgewichte der Whiskygattungen Blend und Malt in Schottland verschoben. Wurden vor 10 bis 15 Jahren nur 3 bis 5% der Gesamtwhiskyproduktion als Malt Whisky in Flaschen abgefüllt, so haben wir es heute mit 10 bis 15% der Produktionsmenge zu tun. Wirklich exakte Zahlen sind nicht zu finden, da die Scotch Whisky Association (SWA) zum einen nur die Exportzahlen veröffentlicht und zum anderen nicht alle Whiskyproduzenten der SWA angehören. Mit dieser Verdreifachung der Nachfrage nach Malt Whisky hat sich auch das Angebot an Sonderflaschen der Brennereien stark vergrößert. Wo ein Markt vorhanden ist, reagieren die Hersteller.

1994/1995 war es als Wertsammler noch eine sichere Nummer, sich eine Flasche Black Bowmore zu kaufen. Die Anzahl an Sonderflaschen der Brennerei war begrenzt und die verhältnismäßig großzügige Limitierung der Flaschenanzahl hielt den Preis auf niedrigen 150 DM (75 EUR). Zu Spitzenzeiten wurde die Flasche dann für rund 3.000 EUR von Hardcore-Sammlern erworben. Genuss-Sammler waren zu diesem Zeitpunkt bereits ausgestiegen. Sie stiegen erst wieder ein, als mit der Finanzkrise 2008 die Preise wieder auf 1.500 EUR sanken.

Heute ergießt sich ein nicht enden wollender Strom an neuen Flaschen aus den Brennereien über die Genießer und Sammler. Doch welche soll man sammeln?
Werfen wir einen Blick auf Bowmore. Allein in den letzten Jahren erschienen Black Rock, Devil's Cask I-III, Gold Reef, Small Batch, 100 Degrees Proof, White Sands, Springtide und Mizunara auf dem Markt. Die Liste ist so lang, wie unvollständig.

Wie bei anderen Brennereien stellt sich auch bei Bowmore die Frage, wie lange wird welche Abfüllung durchhalten? Welche Abfüllung wird zukünftig zu den Standardabfüllungen der Brennerei gehören und ständig nach produziert werden? Und welche Abfüllungen haben überhaupt Potenzial, zu einer Sammlerflasche zu werden? Wer als Wissender die obige Liste durchsieht, hat die beiden einzigen Kandidaten sofort ausgemacht. Es sind der Springtide und der Mizunara. Sieht man sich die Preise dieser beiden Flaschen an (200 EUR, 850 EUR) so wird unmittelbar klar, dass noch ein weiterer Mitspieler den Sammlermarkt betreten hat.

Die Hersteller selbst! Sie können sehr gut abschätzen und über die Flaschenanzahl steuern, welche Abfüllungen sich vermutlich zu Sammlerflaschen entwickeln werden und setzten bereits im Vorfeld entsprechende Preise im Markt durch. Am schlimmsten trifft dies den Wert-Sammler, da er seine Marge mit dem Hersteller teilen muss und die Spekulation mit Whisky damit automatisch begrenzt wird. Aber auch die Hardcore-Sammler trifft es. Statt eine Sonderflasche herauszubringen muss er sich mit zahlreichen Kleinauflagen auseinandersetzen. Konnte man früher fast sicher sein, eine dieser selten erscheinenden Flaschen zu ergattern, so wird das bei den vielen Kleinabfüllungen prinzipiell schwieriger. Die Chance seine Sammlung komplett zu halten, hat sich vermutlich gezehntelt.

Besonders schlimm wird es, wenn Brennereien wie Ardbeg oder Macallan ihre Sammlerflaschen nicht mehr auf allen Märkten der Welt anbieten. Macallan machte es vor und Ardbeg legte nach, indem sie für einzelne Länder einzelne Fässer abfüllten. Somit gab es z.B. für Deutschland wenige Hundert Ardbeg-Germany-Flaschen, denen Zigtausend Sammler gegenüberstanden. Deshalb hat sich die Anzahl an Hardcore-Sammler dieser Brennereien in den vergangenen Jahren aus Sicht des Autors deutlich reduziert. Weil Sammeln Spaß machen muss! Und wenn man sein Sammelziel nie erreichen kann und das mit jeder Neuerscheinung aufs Neue durchleiden muss, dann wird auch – übertragen gesprochen – der stärkste Fußballfan seiner ständig verlierenden Mannschaft untreu und feiert dagegen die Sieger.